Stadtentwicklung ist eine Aufgabe für die ganze Stadt

Vortrags- und Diskussionsveranstaltung im Kulturhaus beleuchtete, wie Oberwesel als Wohnraum attraktiv bleiben kann

„Alte Geschäfte – neue Wohnkonzepte“: Unter diesem Thema stand eine ausgebuchte Veranstaltung aus der Reihe „Kulturhaus im Gespräch“, welche das Interesse zahlreicher Besucher gefunden hatte. Der Abend mit zwei Referenten und anschließender Podiumsrunde mit Stadtbürgermeister Marius Stiehl, Stadtmanagerin Lena Höver sowie dem Vorsitzenden von „Unternehmen für Oberwesel“ e.V. (UfO), Franziskus Weinert, lenkte den Blick auf das vielschichtige Thema städtebaulicher Entwicklung im Bereich Wohnen und Leben in Oberwesel.  


In einer Bilderschau nahm Hans Peter Schmitt das Publikum zunächst auf einen historischen Streifzug durch die Oberweseler Geschäftswelt mit, der im heutigen modern aufgestellten Gewerbegebiet Im Tuchscheren endete. Dabei konnte er eindrücklich die Veränderung der ehemals 60 Lebensmittelgeschäfte und ca. 80-90 weiterer Geschäfte und Kleinbetriebe um 1909 belegen, von denen heute nur noch wenige übrig geblieben sind. Manche der ehemaligen Ladenlokale sind heute ungenutzt und stehen auch als Wohnraum nicht zur Verfügung. 

„Die Zukunft liegt in der Ansiedlung digitaler Dienstleister“

Auf die Frage, ob sich Oberwesel von der Vorstellung einer Innenstadt mit vielen kleinen Läden verabschieden müsse, gab es von Stadtbürgermeister Stiehl ein deutliches „Ja“. „Die Zeiten mit mehreren Bäckern oder Metzgern in der Kernstadt sind – wie auch in anderen Städten – vorbei.“ Dies unterstrich UfO-Vorsitzender Weinert: „Die Zukunft der Innenstadt liegt in der Ansiedlung digitaler Dienstleister, für die es heute keine Rolle mehr spielt, ob Sie von München, Frankfurt oder von Oberwesel aus arbeiten.“ Hier konkurriere Oberwesel allerdings auch mit anderen Städten. „Deshalb ist es wichtig, dass wir die digitalen Weichen stellen bzw. gestellt haben, um diesen Firmen einen attraktiven Standort zu bieten und Zugezogene willkommen heißen.“ Ein wichtiges Thema, mit dem sich „Unternehmen für Oberwesel“ (Anm. der Red.: ehemals OGV) beschäftige, so Weinert.  

Auch wenn sich der Einzelhandel in der Innenstadt verändert hat, machte der Abend deutlich, dass das florierende Gewerbegebiet im Tuchscheren mit Einkaufsmärkten und Discoutern der Stadt eine hohe Attraktivität verleiht. Gute Voraussetzungen, um nicht nur Kunden, sondern ebenso neue Bürger anzuziehen. „Doch gibt es ausreichend Wohnraum für Familien und junge Menschen, die gerne in ihrer Heimatstadt bleiben möchten?“ Zu dieser Frage von Veranstaltungsleiterin Reinfriede Scheer, die den Abend moderierte, lieferte Architekt Daniel Becker mit der Vorstellung eines städtebaulichen Konzeptes die Diskussionsgrundlage.

„Stadt muss aktiv gestalten, um attraktiv zu bleiben“

Seine Analyse und Maßnahmenempfehlung, die er im Rahmen seiner Masterthesis entwickelte, zielte im Kern darauf ab: Die Stadt muss sich aktiv in den Entwicklungsprozess einbringen, wenn der Stadtkern als Wohnraum attraktiv bleiben soll. „Durch den Ankauf freiwerdender oder leerstehender Gebäude können Quartiere neu gestaltet und Wohnraum für alle Generationen geschaffen werden.“ Er zeigte zugleich Beispiele, wie mit einer lichtdurchfluteten Bauweise selbst Häuser in verwinkelten Gassen und verbaute Innenhöfe aufgewertet werden können. „Hier aktiv zu werden“, zeigte sich der gebürtige Oberweseler überzeugt, „ist wichtig, um einer Überalterung entgegenzuwirken, wie sie in anderen Städten am Rhein bereits Einzug gehalten hat.“

Die finanziellen und personellen Kapazitäten um als Investor aufzutreten, sah Stadtbürgermeister Stiehl für Oberwesel nicht gegeben. „Wir bemühen uns um Förderprogramme, um Anreize zu schaffen und investitionswilligen Bürgern beim Renovieren alter Bausubstanz in der Kernstadt unter die Arme greifen zu können.“ Hierzu gebe es zahlreiche positive Beispiele, dass dies angenommen werde. 

Man müsse aber auch akzeptieren, wenn junge Menschen es vorzögen, in einem Höhenort neu zu bauen. Mit der Erschließung eines Baugebietes im Stadtteil Langscheid habe die Stadt ein entsprechendes Angebot geschaffen. Dass das vor Jahren auf Fasel entstandene Neubaugebiet nicht von der Stadt erschlossen wurde, bewertete Stiehl im Rückblick als Fehler, weil hier Bauland noch ungenutzt brach liege. Insgesamt gebe es „Auf Fasel“ noch 25 in privater Hand befindliche Bauplätze, auf die die Stadt keinen Zugriff habe. Auf dem Schlossfeld könnten zudem weitere 26 Bauplätze erschlossen werden.

Immobilienbörse ist wichtiges Instrument für Wohnraummanagement

Während sich für gut erhaltene Immobilien in interessanter Lage in Oberwesel eine wachsende Nachfrage und steigende Preise abzeichnen, stellt sich dies für ältere, leerstehende Wohnungen, Häuser und Gewerbeobjekte zum Teil anders dar.  Auch, weil sich die Wohnansprüche geändert haben, wie in der Diskussion deutlich wurde; manchen Objekten fehle z.B. ein Stellplatz oder ein Garten. Die von der Stadt eingerichtete Immobilienbörse soll deshalb unterstützend wirken, wie Stadtmanagerin Lena Höver ausführte: „Mit diesem frei zugänglichen Pool auf der städtischen Homepage bringen wir Verkäufer und Kaufinteressierte zusammen, ohne dabei als Makler aufzutreten.“. Sie richtete den Appell an alle Anwesenden, diesen kostenfreien Service im Rahmen des Leerstandsmanagements zu nutzen und freien Wohnraum transparent zu machen. 

Der Abend, bei dem auch das Publikum mitdiskutierte, zeigte, dass die städtebauliche Entwicklung nicht nur die Stadtverantwortlichen in die Pflicht nimmt, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger. „Der gemeinsame Dialog und Austausch unterschiedlicher Sichtweisen sind wichtig, um Neues anzustoßen“, so die Meinung aller Mitwirkenden. Dass das Thema und die Veranstaltung, die in Kooperation von Kulturhaus, Stadt und UfO einen so großen Zuspruch gefunden habe, sei besonders erfreulich. 

von Reinfriede Scheer